[juF-nds] Neues aus dem Bundestag: 1. Familiennachzug, 2. Erleichterungen beim Zugang zu Kindergeld und anderen Familienleistungen für Drittstaatsangehörige
Dörthe Hinz - Flüchtlingsrat Nds.
dh at nds-fluerat.org
Di Nov 12 09:34:29 CET 2019
Liebe Leser*Innen,
nachfolgend 2 Informationen im Bereich "Junge Flüchtlinge/ Familien":
1. Neues aus dem Bundestag: Neues zum Familiennachzug!
2. Erleichterungen beim Zugang zu Kindergeld und anderen
Familienleistungen für Drittstaatsangehörige
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1. Neues aus dem Bundestag: Neues zum Familiennachzug!
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Betreff: [Flucht] [Asylpolitik] Neues aus dem Bundestag: Neues zum
Familiennachzug! / Anhörung zu open cities u.a.
Datum: Thu, 7 Nov 2019 09:45:32 +0100
Von: Dr. Thomas Hohlfeld <thomas.hohlfeld at linksfraktion.de>
Liebe Interessierte,
1) Verbesserungen beim Familiennachzug zu subsidiär Geschützten hatte
ein SPD-Parteitag zur Bedingung eines Eintritts der SPD in die Große
Koalition gemacht. Angesichts der bevorstehenden Halbzeitbilanz der
Großen Koalition ist es umso interessanter, was aus dem in extremer Eile
verabschiedeten "Familiennachzugsneuregelungsgesetz" geworden ist.
Zunächst: Die besagten "Verbesserungen" bezogen sich ohnehin nur auf die
vereinbarte Verschlechterung - die Abschaffung des Rechts auf
Familiennachzug für subsidiär Geschützte und die Ersetzung dieses
Rechtsanspruchs durch eine kontingentierte Nachzugsregelung im Ermessen
der Behörden. Ohne gesetzliche Neuregelung wäre das Recht auf
Familiennachzug im März 2018 nach zweijähriger Aussetzung wieder
uneingeschränkt gewährleistet gewesen, das gilt es zu erinnern!
Die angeblichen Verbesserungen bestanden nach Ansicht der SPD darin,
dass es eine Übertragungsregelung für aufgrund bürokratischer
Anlaufprobleme nicht genutzte Plätze aus den 1000er Kontingenten für
Folgemonate geben sollte - aber die galt nur für das Jahr 2018. Zum
anderen sollten Härtefall-Visa für den Familiennachzug nach §22 AufenthG
- anders als in der Vergangenheit - verstärkt und großzügiger erteilt
werden.
Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der
Linksfraktion (Ulla Jelpke u.a.) bringt nun zu Tage, wie ungenügend
selbst dieser ungenügende "Kompromiss" der Koalition in der Praxis
umgesetzt wird! Obwohl die Bundesregierung das parlamentarische
Fragerecht erneut mit Füßen tritt, indem sie wesentliche Fragen einfach
nicht beantwortet, enthält die Antwort zahlreiche für die
Bundesregierung, aber insbesondere auch für die SPD und den
SPD-Außenminister brisante Informationen:
- seit August, und zuvor schon im Juni, werden nicht einmal mehr 1.000
Visa pro Monat erteilt, zuletzt waren es sogar weniger als 800 im Monat!
Kern des Problems ist, dass in den Visastellen zu wenige Anträge (nur
knapp über 1.000 im Monat) entgegen genommen werden - dabei könnten
mindestens doppelt so viele Anträge bearbeitet werden, wie
Vergleichszahlen aus den Jahren 2016/17 zeigen.
- eine Übertragung der im Jahr 2018 nicht genutzten Plätze wird es nicht
geben!
- die versprochene verstärkte Erteilung von Visa nach §22 AufenthG
(quasi als Kompensation zur Kontingentierung) findet ebenfalls nicht
statt; ganz im Gegenteil: die Erteilung solcher Visa wurde faktisch
eingestellt, in den letzten 12 Monaten waren es nur gerade einmal noch
drei (!) solcher Visa - und das ist besonders bemerkenswert, weil nach
Auffassung z.B. des Regierungssachverständigen Prof. Dr. Daniel Thym die
Kontingentierung des Nachzugs nur wegen dieser Härtefallregelung nach
§22 AufenthG überhaupt als verfassungsgemäß angesehen werden kann!
- die gesamte Konstruktion der Nachzugsregelung ist in Kenntnis der
Praxis eine reine Gesetzesattrappe, mit zudem komplett überflüssigem
bürokratischem Überbau! Eigentlich sollte das Bundesverwaltungsamt unter
den Nachzugsfällen, die überwiegend schon seit Jahren auf den
Familiennachzug warten, die humanitär besonders dringlichen Fällen
(lange Trennungszeiten, Erkrankungen und Gefährdungen, Familien mit
Kindern usw.) heraussuchen und für eine priorisierte und schnelle
Visumserteilung sorgen. Das findet nicht statt: Die Anträge werden
schlicht nach Antragseingang abgearbeitet, das BVA nimmt keine
Kategorisierung der Einzelfälle vor und leitet die (elektronischen)
Akten quasi ungelesen weiter... Welch menschenfeindliche Absurdität!
- und jetzt kommts: Zuletzt waren nicht einmal mehr 21.000 Angehörige
registriert, die auf einen Termin zur Visavergabe für den Nachzug zu
subsidiär Schutzberechtigten warteten; angesichts von gut 11.000 bislang
erteilten Visa ergibt sich daraus aus eine Zahl von insgesamt etwa
30.000 Angehörigen von subsidiär Schutzberechtigten, die im Wege des
Familiennachzugs nach Deutschland kommen könnten - das liegt um den
Faktor 10 niedriger als von Horst Seehofer im Rahmen der
Koalitionsverhandlungen imaginiert wurde (300.000; die Bundesregierung
nennt trotz Anfrage keinen Beleg und kein Argument dafür, wie Seehofer
auf diese grotesk überzogene Zahl gekommen ist, die Grundlage für die
Abschaffung des Rechts auf Familiennachzug für diese Gruppe war)!
Weitere Einzelheiten finden sich im angehangenen Vermerk. Im Anhang
findet sich auch die Antwort der Bundesregierung, über die heute die
Süddeutsche Zeitung berichtet:
https://www.sueddeutsche.de/politik/asylpolitik-total-verschaetzt-1.4670605
2. Erleichterungen beim Zugang zu Kindergeld und anderen
Familienleistungen für Drittstaatsangehörige
-------- Weitergeleitete Nachricht --------
*Betreff: *
[liste-muensterland] Ab 2020: Erleichterungen beim Zugang zu Kindergeld
und anderen Familienleistungen für Drittstaatsangehörige
*Datum: *
Fri, 8 Nov 2019 09:48:59 +0000
*Von: *
Claudius Voigt <voigt at ggua.de> <mailto:voigt at ggua.de>
*An: *
liste-muensterland at asyl.org <mailto:liste-muensterland at asyl.org>
<liste-muensterland at asyl.org> <mailto:liste-muensterland at asyl.org>
Liebe Kolleg*innen,
der Bundestag hat gestern das *Gesetz zur weiteren steuerlichen
Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher
Vorschriften
(*http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2517/251757.html)
verabschiedet. Trotz des einigermaßen irritierenden Titels sind darin
auch relevante Regelungen für den Migrations- und Flüchtlingsbereich.
Durch das Gesetz werden an versteckter Stelle nämlich die *Zugänge
ausländischer Staatsangehöriger zu den Familienleistungen Kindergeld,
Elterngeld und Unterhaltsvorschuss* verändert. (Eine Zusammenstellung
der beschlossenen Änderungen zu Familienleistungen im Wortlaut gibt es
hier.
<https://ggua.de/fileadmin/downloads/kindergeld_und_elterngeld/AEnderungen_geplant_Familienleistungen.pdf>)
In Zukunft werden deutlich mehr ausländische Staatsangehörige einen
Anspruch auf die genannten Familienleistungen haben als bisher. Die
geänderten Regelungen zu den Familienleistungen sollen in zwei Stufen
zum 1. Januar 2020 und zum 1. März 2020 in Kraft treten. Der Bundesrat
muss allerdings noch zustimmen; zu hoffen ist, dass er einige weiterhin
willkürliche und offensichtlich verfassungswidrige Ungleichbehandlungen
im Vermittlungsausschuss noch korrigieren wird.
So soll *ab 1. Januar 2020* (Art. 2 Nr. 26, Art. 29, Art. 31, Art. 33)
für Personen mit der neuen *Beschäftigungsduldung (§ 60a Abs. 2 Satz 3
in Verbindung mit § 60d AufenthG)* ein Anspruch auf Kindergeld nach EStG
und BKGG sowie auf Elterngeld und Unterhaltsvorschuss eingeführt werden
– nicht aber mit Ausbildungsduldung (§ 60a Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 60c
AufenthG), mit „normaler“ Duldung oder mit Aufenthaltsgestattung. Dies
ist zwar eine Verbesserung für die (vermutlich äußerst wenigen) Personen
mit der künftigen Beschäftigungsduldung. Überhaupt nicht nachvollziehbar
ist jedoch, dass Personen mit einer Ausbildungsduldung weiterhin
ausgeschlossen bleiben sollen, obwohl ihre „Bleibeperspektive“ und
arbeitsmarktliche Integration objektiv mindestens ebenso gut ist. Auch
für erwerbstätige Personen mit einer „normalen Duldung“ oder
Aufenthaltsgestattung bedeutet der weiterhin bestehende Ausschluss eine
nicht zu rechtfertigende und willkürliche Ungleichbehandlung. So haben
auch Personen mit einer Aufenthaltsgestattung in vielen Fällen von
vornherein eine hohe Aussicht darauf, dauerhaft in Deutschland leben zu
werden. Dennoch sollen sie trotz einer möglicherweise bestehenden Arbeit
weiterhin vom Kindergeld ausgeschlossen bleiben. Die Frage, ob der
bisherige Ausschluss vom Kindergeld mit Duldung oder Gestattung
verfassungswidrig ist, liegt übrigens seit geraumer Zeit beim BVerfG zur
Prüfung vor
(http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=STRE201475091&st=null&showdoccase=1;
2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 11/14, 2 BvL 12/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL
14/14).
Außerdem sind *ab 1. März 2020* (Art. 3 Nr. 2, Art. 30, 32, Art. 34)
beim Kindergeld nach EStG und BKGG, beim Unterhaltsvorschuss und beim
Elterngeld folgende Öffnungen vorgesehen:
Anspruch auf Familienleistungen für bestimmte *humanitäre
Aufenthaltserlaubnisse* (23 Abs. 1 wegen Krieg im Heimatland, §§ 24, 25
Abs. 3 bis 5), wenn sie *entweder* arbeiten *oder* seit 15 Monaten hier
leben, Bislang konnten sie nur dann Kindergeld erhalten, wenn sie seit
drei Jahren hier leben *und* aktuell erwerbstätig (oder in Elternzeit
usw.) sind. Zumindest für das Elterngeld war die Voraussetzung der
Erwerbstätigkeit schon vor langer Zeit für verfassungswidrig erklärt worden;
Für *UMF* wird bei diesen humanitären AEs der Anspruch ohne Wartezeit
auch unabhängig von der Erwerbstätigkeit festgeschrieben (Umsetzung
eines BSG-Urteils zum Kindergeld nach BKGG);
Anspruch auf KG, Elterngeld und UHV auch für *Studierende* mit der
künftigen AE nach § 16b AufenthG (bisheriger § 16), wenn sie arbeiten;
Ein Anspruch auf die Familienleistungen besteht künftig für Personen mit
den neuen AEs nach § 16d (*Anerkennung ausländischer
Berufsqualifikationen*) und § 20 Abs. 3 AufenthG (*Arbeitsplatzsuche*
nach Abschluss oder Anerkennung in Deutschland), wenn sie arbeiten (oder
in Elternzeit etc. sind) *und* eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis
für mindestens sechs Monate haben. Bisher hatten diese Gruppen
unabhängig von einer Erwerbstätigkeit einen Anspruch auf Kindergeld –
hier gibt es also eine Verschlechterung;
Ausdrücklich eingeführt wird der Anspruch für Personen mit einer AE nach
dem neuen § 16a (*Berufsausbildung*), wenn diese für mindestens sechs
Monate erteilt wird. Nach dem aktuell geltenden Gesetzeswortlaut besteht
mit dem bisherigen § 17 für Ausbildung kein Anspruch, dies war aber
bislang schon europarechtswidrig und wurde nach den
Durchführungsanweisungen des Bundeszentralamts für Steuern schon anders
gehandhabt;
*Die ICT-Karte, Mobiler ICT-Karte, Blaue Karte-EU und Erlaubnis zum
Daueraufenthalt-EU*werden ebenfalls ausdrücklich als leistungsberechtigt
aufgenommen.
*Ausgeschlossen*von den Familienleistungen sind somit nur noch (neben
der Ausbildungsduldung, der „normalen“ Duldung und der
Aufenthaltsgestattung) nur noch AEs, die für weniger als sechs Monate
zur Erwerbstätigkeit berechtigen, oder die nach den neuen *§§ 16e
(studienbezogenes Praktikum-EU), 19c Abs. 1 (Au-Pair oder
Saisonbeschäftigung), 19e (europäischer Freiwilligendienst) oder 20 Abs.
1 und 2 AufenthG (Arbeitsplatzsuche mit ausländischem Abschluss)*
erteilt werden.
Für die ganz oben genannten humanitären Aufenthaltserlaubnisse bedeutet
das zwar eine deutliche Verbesserung der Situation. Dennoch wird die
Gesetzesänderung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an einen
Kindergeldausschluss nicht gerecht. Denn nach dessen Rechtsprechung
müssen einen Anspruch auf Kindergeld alle Personen erhalten, die sich
voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten werden. Für nicht
erwerbstätige Personen ist jedoch eine Mindestaufenthaltsdauer von 15
Monaten kein geeignetes Kriterium zur Beurteilung dieser Voraussetzung.
Beispielsweise halten sich Personen mit § 25 Abs. 3 AufenthG (nationales
Abschiebungsverbot) aller Voraussicht nach dauerhaft im Bundesgebiet
auf, auch wenn sie noch nicht so lange hier sind. Die Regelung dürfte
daher weiterhin verfassungswidrig sein. So sieht es auch der Bundesrat
in einer Stellungnahme völlig zu Recht
(http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2019/0356-19B.pdf, S. 41).
Es ist daher zu hoffen, dass der Bundesrat noch Verbesserungen an dieser
Stelle durchsetzen wird.
Die Gesetzesänderungen tangieren übrigens nicht die sich aus
*völkerrechtlichen Vereinbarungen ergebenden Ansprüche auf
Familienleistungen für bestimmte Staatsangehörige* unabhängig vom
Aufenthaltsstatus (also auch mit Duldung oder Gestattung). Derartige
Ansprüche gibt es für für Arbeitnehmer*innen aus *Bosnien, Serbien,
Montenegro und Kosovo sowie aus Algerien, Marokko und Tunesien*
unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Und für Staatsangehörige der *Türkei* gilt: Ein Anspruch auf
Familienleistungen besteht unabhängig vom Vorliegen des
Arbeitnehmer*innenstatus und unabhängig vom Aufenthaltsstatus bereits
dann, wenn der Betreffende sich seit mindestens sechs Monaten in
Deutschland aufhält.
Diese Ansprüche bleiben auch künftig bestehen.
--
Claudius Voigt
Projekt Q – Büro zur Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrationsberatung
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V.
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48153 Münster
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--
Dörthe Hinz
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