[juF-nds] Änderungen im AsylbLG: Beratungstipps
Dörthe Hinz - Flüchtlingsrat Nds.
dh at nds-fluerat.org
Mo Okt 14 08:55:45 CEST 2019
*Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)*
Mit dem Haub-ab-Gesetz (auch unter dem verharmlosenden Titel
„Geordnete-Rückkehrgesetz“ bekannt) sind u.a. auch Änderungen am AsylbLG
vorgenommen worden, die seit dem 21.08.2019 gelten. Weitere Änderungen
im AsylbLG sind mit dem „Dritten Gesetz zur Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetz“ am 01.09.2019 in Kraft getreten. Diese
Gesetzesänderungen haben z.T. erhebliche Auswirkungen. Da diese
Änderungen zum Teil mit erheblichen Verschlechterungen für Geflüchtete
verbunden sind, werden nachfolgend die wichtigsten Änderungen
dargestellt und Empfehlungen für die Beratungspraxis gegeben.
1. *Umstellung**von Grundleistungen **auf**Analogleistungen nach 18
Monaten*
Seit dem 21.08.2019 können Personen, die unter das AsylbLG fallen,
frühestens nach 18 Monaten statt bisher 15 Monaten Voraufenthalt
Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalten, die analog zu Leistungen nach
dem SGB 12 gestaltet sind.
2. *K**eine**Leistung**en**für Personen, die in anderen EU-Staaten
**als **international **Schutzberechtigte anerkannt sind*
Menschen, die bereits in einem anderen EU-Staat (oder Island,
Liechtenstein, Norwegen oder Schweiz) als international
Schutzberechtigte (also Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention
oder subsidiärer Schutz) anerkannt sind, sollen gem. § 1 Abs. 4
AsylbLG von Leistungen nach dem AsylbLG komplett ausgeschlossen
werden. Sie können maximal für zwei Wochen innerhalb von zwei Jahren
„Überbrückungsleistungen“ erhalten. Diese sollen als Sachleistungen
erbracht werden und umfassen lediglich den Bedarf an Ernährung und
Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und
Gesundheitspflege. Jedoch wird dieser Grundsatz durch zwei
Härtefallregelungen durchbrochen. Zum einen sind „soweit dies im
Einzelfall besondere Umstände erfordern […] zur Überwindung einer
besonderen Härte andere Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 [AsylblG]“
zu gewähren (§ 1 Abs. 4 S. 6, 1. Hs. AsylblG). Zum anderen sind
„Leistungen über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus zu erbringen,
soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur
Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich
befristeten Bedarfslage geboten ist“ (§ 1 Abs. 4 S. 6, 2. Hs. AsylblG).
Ein Erlass in Rheinland-Pfalz
<https://mffjiv.rlp.de/fileadmin/MFFJIV/Integration/Rundschreiben/RS_MFFJIV_-_GRG_zum_AsylbLG_v._26.08.2019.pdf>
bspw. berücksichtigt dies und weist darauf hin, dass bei vulnerablen
Personen grundsätzlich besondere Umstände anzunehmen sind, die aus
Härtefallgründen Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 AsylbLG
erfordern. Zudem wird in dem Erlass deutlich gemacht, dass auch
nicht vulnerablen Personen um sie„vor Obdachlosigkeit, Hunger sowie
sonstigen Beeinträchtigung von Leib und Leben zu schützen“ i.d.R.
auch nach zwei Wochen weiterhin mindestens die
Überbrückungsleistungen zu gewähren sind.
In Niedersachsen werden Asylantragsstellenden, die in einem anderen
(EU-)Staat als GFK-Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte
anerkannt sind, nach unserem derzeitigen Informationsstand auch über
zwei Wochen hinaus Leistungen nach dem AsylblG gewährt. Ein
vollständiger Leistungsausschluss ist unseres Erachtens nach in
jedem Fall verfassungswidrig, da der Anspruch auf Gewährung des
menschenwürdigen Existenzminimus nicht auf Grund
migrationspolitischer Erwägungen relativiert werden darf, wie das
Bundesverfassungsgericht befand
<https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2012/07/ls20120718_1bvl001010.html>.
3. *Ausweitung des Personenkreises, der nur gekürzte Leistungen nach §
1a AsylbLG erhalten soll*
U.a. Asylsuchende, deren Antrag auf Grundlage der
Dublin-III-Verordnung als unzulässig abgelehnt und denen die
Überstellung in einen anderen (EU)-Staat angedroht wurde, erhalten
nunmehr grundsätzlich ebenfalls lediglich gekürzte Leistungen, die
den Bedarf an „Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie
Körper- und Gesundheitspflege“ decken und zwar grundsätzlich auch
dann, wenn der Ablehnungsbescheid noch nicht rechtskräftig ist (§ 1a
Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 AsylblG). Zudem erhalten Asylsuchende fortan
gekürzte Leistungen, wenn sie ihren Asylantrag nicht „unverzüglich“
stellen oder bei der Identitätsklärung nicht mitwirken (§ 1a Abs. 5
S. 1 Nr. 1, 6, 7 AslyblG).
4. *Kürzungen für alleinstehende Erwachsene, die in
Gemeinschaftsunterkünften wohnen*
Alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft
untergebracht und einander prinzipiell fremd sind, werden nun
Ehegatten bzw. Lebenspartnern gleichgestellt und als
Haushaltsgemeinschaft betrachtet (§ 3a Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2 Nr. 2a
AsylblG).
Deshalb sollen sie nun nur noch Leistungen nach der
Regelbedarfsstufe 2 erhalten, was einer Kürzung von etwa 10%
gegenüber der vorherigen Einstufung in der Regelbedarfsstufe 1
entspricht.
5. *Kürzungen bei volljährigen Erwachse**nen**unter 25 Jahren, die bei
ihren Eltern leben*
Volljährige Erwachsene, die unter 25 Jahre alt sowie unverheiratet
sind und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung
zusammenleben , werden in die Regelbedarfsstufe 3 eingeordnet und
erhalten somit jetzt 20% weniger Leistungen als zuvor (§ 3a Abs. 1
Nr. 3a, Abs. 2 Nr. 3a AsylblG).
6. *Anpassung der Regelbedarfe **nach**EVS-Bedarfsrechnung*
Sobald die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) vorliegen, müssen die Geld-Leistungen für
den „notwendigen persönlichen Bedarf“ und den „notwendigen Bedarf“
entsprechend angepasst werden (§ 3a Abs. 5 AsylblG).
7. *Schließung der Förderlücke für Auszubildende und Studierende **mit
Aufenthaltsgestattung*
Wer sich im Asylverfahren befindet, ist grundsätzlich von BAB
(Berufsausbildungsbeihilfe) oder BAföG ausgeschlossen. Mit der
Gesetzesänderung haben nun aber alle Auszubildenden (in schulischer
oder dualer Ausbildung) sowie alle Studierenden mit
Aufenthaltsgestattung (auch nach 18 Monaten Aufenthalt in
Deutschland) Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG zur Sicherung
des Lebensunterhalts während der Ausbildung/des Studiums.
8. *Freibetrag für ehrenamtliche Tätigkeiten*
Leistungsberechtigte nach dem AsylblG können monatlich bis zu 200,-
Euro aus einer ehrenamtlichen Tätigkeiten (wie z.B. als
Übungsleiter_in oder Ausbilder_in für gemeinnützige Zwecke)
erzielen, wobei diese Einkünfte nicht als Einkommen berücksichtigt
und somit nicht mit dem Leistungsanspruch verrechnet werden (§ 7
Abs. 3 S. 2 AsylblG).
9. *Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG bereits mit Asylgesuch*
Es wird klargestellt, dass schon durch die Äußerung des Asylgesuchs
(und nicht erst mit der förmlichen Asylantragstellung beim BAMF) der
Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG entsteht.
*Widerspruch und ggf. Klage und Eilantrag:*
* Wer als alleinstehende_r Erwachsen_r in einer
Gemeinschaftsunterkunft lebt und daher von der Kürzung durch die
Herabstufung in die Regelbedarfsstufe 2 betroffen ist, empfehlen wir
Widerspruch und bei Ablehnung des Widerspruchs Klage beim
Sozialgericht gegen die gekürzten Leistungen einzulegen.
* Wer als in einem anderen EU-Staat Schutzberechtigter_r von
Leistungen vollkommen ausgeschlossen wird, sollte Widerspruch und
Eilantrag beim Sozialgericht stellen, bei Ablehnung des Widerspruchs
sollte Klage beim Sozialgericht eingereicht werden.
* Grundsätzlich sollte auch bei anders begründeten Leistungskürzungen
Widerspruch eingelegt und bei Ablehnung geprüft werden ob Klage
eingereicht wird. Vor dem Hintergrund des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts vom 12.08.2012, worin das BVerfG
festgestellt hat, dass das Existenzminimum durch den SGB II- bzw.
SGB XII-Satz definiert ist und die „Menschenwürde
migrationspolitisch nicht zu relativieren“ ist, stellt sich jedwede
Leistungskürzung als fragwürdig dar.
Im ersten Schritt ist immer Widerspruch beim zuständigen Sozialamt
einzulegen. Sollte der Widerspruch abgelehnt werden, sollte Klage beim
zuständigen Sozialgericht eingereicht werden.
Bei Verfahren *vor dem Sozialgericht fallen keine Gerichtskosten an*,
und bei Klagen, die sich gegen Kürzungen im AsylbLG richten, gewähren
die Sozialgerichte *immer Prozesskostenhilfe*, über den ein_e
Anwalt/Anwältin finanziert werden kann. Zudem sind *immer Eilverfahren
möglich, wenn das Existenzminimum unterschritten wir*d und dies auch
schon ab Widerspruchsverfahren, noch bevor Klage beim Sozialgericht
eingereicht wurde.
Wir bemühen uns, bei Bedarf eine_n Fachanwalt oder Fachanwältin zu
vermitteln.
*Handreichungen/Arbeitshilfen/Erlass:*
* Claudius Voigt von der GGUA hat für den Paritätische Gesamtverband
eine Arbeitshilfe erstellt, die die Änderungen im AsylbLG
berücksichtigt, siehe hier.
<http://infothek.paritaet.org/pid/fachinfos.nsf/0/44d607d192b463d1c125848f00377b39/$FILE/Soziale%20Rechte%20f%C3%BCr%20Gefl%C3%BCchtete%20%E2%80%93%20Das%20AsylbLG.pdf>
* Der Flüchtlingsrat Berlin hat ebenfalls Informationen und Hinweise
zu den Änderungen im AsylbLG sowie deren Umsetzung in Berlin
zusammengestellt, siehe hier
<https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/newsletter-fr-berlin_sept2019-2.pdf>.
* Ein Erlass des niedersächsischen Innenministeriums vom 20.08.2019
gibt erste Hinweise, wie in Niedersachsen einige Änderungen im
AsylbLG umgesetzt werden sollen, siehe hier: Erlass nds. MI zu
AsylbLG vom 20.08.2019
<https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2019/08/20190820-Ausf%C3%BChrungshinweise-Drittes-AsylbLG-%C3%84ndG.pdf>
*Im Anhang:*
* Die o.g. Hinweise als pdf-Datei
* Tabelle Leistungssätze AsylbLG in 2019 und 2020 vom Flüchtlingsrat
Hessen
--
Freundliche Grüße
Sigmar Walbrecht
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestr. 12
D - 30173 Hannover
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