[juF-nds] Bitteres Fazit zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten
Dörthe Hinz - Flüchtlingsrat Nds.
dh at nds-fluerat.org
Mo Mär 15 08:12:08 CET 2021
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Presseerklärung
12. März 2021
*Bitteres Fazit zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten*
*Gutachten von PRO ASYL und JUMEN legt unsichtbare Hürden und
Verfassungswidrigkeit beim Familiennachzug offen*
PRO ASYL und JUMEN ziehen ein bitteres Fazit über die Situation von
getrennten Familien von subsidiär Schutzberechtigten. Vor fast fünf
Jahren, am 16.03.2016, hat der Deutsche Bundestag beschlossen, für
Flüchtlingsfamilien, die vor Krieg und Terror fliehen, das Recht als
Familie zusammenzuleben für zwei Jahre vollständig auszusetzen. Das dann
am 01.08.2018 in Kraft getretene Familiennachzugsneuregelungsgesetz hat
durch eine Kontingentregelung aus einem Rechtsanspruch einen Gnadenakt
des Staates gemacht. Heute stellen wir fest: Tausende Familien sind seit
Jahren dauerhaft getrennt und vielen haben überhaupt keine Chance,
zusammenzukommen. Vor allem syrische und eritreische Schutzsuchende sind
von der Einschränkung des Familiennachzugs betroffen. Eine Rückkehr, um
als Familie zusammenzuleben, ist in diese Länder jedoch nicht möglich.
Die Organisationen haben seit August 2018 die Praxis des
Nachzugsverfahrens analysiert und zeigen in dem *Ergebnispapier
„Zerrissene Familien – Praxisbericht und Rechtsgutachten zum
Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten“
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die praktischen Probleme und die Verfassungswidrigkeit der Regelung.
Grundgesetz, Europäische Menschenrechtskonvention, EU-Grundrechte-Charta
und UN-Kinderrechtskonvention werden verletzt/./ Die Familien werden von
den jahrelangen Wartezeiten zermürbt, ihr Leid wird noch nicht einmal
mehr öffentlich wahrgenommen.
*PRO ASYL und JUMEN fordern die Aufhebung des
Familiennachzugsneuregelungsgesetzes*
Der Praxisbericht und das Rechtsgutachten zeigen, dass die getroffenen
gesetzlichen Regelungen fatale Auswirkungen haben. PRO ASYL und JUMEN
fordern die Aufhebung des Familiennachzugsneuregelungsgesetzes und somit
die Gewährleistung des Rechts als Familie zusammenzuleben. Subsidiär
Geschützte müssen wieder mit GFK-Flüchtlingen gleichgestellt werden, da
beiden Gruppen der Weg in das Herkunftsland längerfristig versperrt ist.
Außerdem muss die Familieneinheit zeitnah hergestellt, das Visum zur
Einreise spätestens innerhalb von drei Monaten erteilt werden. Wenn für
erwünschte Arbeitsmigration in wenigen Wochen ein Visumsverfahren
abgeschlossen ist, dann muss dies auch für geflüchtete Familien gelten.
PRO ASYL und JUMEN halten den Verweis auf die Corona-Pandemie
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vorgeschoben. Die Corona-Pandemie hat die Situation verschärft, ist
jedoch nicht die Ursache: Schon zuvor im 1. Quartal 2020 sind die
analysierten Missstände festzustellen.
*Auswärtiges Amt entzieht sich gerichtlicher Kontrolle*
PRO ASYL und JUMEN werfen dem Auswärtigen Amt vor, das Verfahren so zu
steuern, dass die Rechtswidrigkeit von Gesetzgebung und Ablauf des
Verfahrens von Gerichten nicht festgestellt werden kann: Es deckelt die
Terminvergabe und schafft dadurch einen Flaschenhals - oftmals werden
kaum mehr als 1.000 Anträge im Monat von den deutschen
Auslandsvertretungen an die Ausländerbehörden in Deutschland
weitergeleitet (siehe Deutscher Bundestag, Drucksache 19/14640, S.10 ff.
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Es kann aber nur jemand klagen, dessen Antrag überhaupt erst einmal
bearbeitet und dann abgelehnt wurde. Dadurch können gerade die Fälle,
die mit ihren Anträgen nie durchkommen oder in Warteschleifen hängen,
nicht vor das zuständige Verwaltungsgericht Berlin gebracht werden[1]
<#_ftn1>. Das politisch hochumstrittene Gesetz zur Kontingentierung wird
somit einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. In großem Stil wird der
Familiennachzug verhindert, ohne dass die Entscheidungen transparent
nachvollziehbar sind und somit das Behördenhandeln durch Gerichte
geprüft wird. Die Betroffenen werden in einem, wegen der Beteiligung von
IOM, Auswärtiges Amt/Botschaften, Ausländerbehörden und
Bundesverwaltungsamt, aufgeblähten und intransparenten Verfahren
jahrelang hingehalten.
*Lange Wartezeiten, fehlende Priorisierung*
Der Antragstellung bei den Auslandsvertretungen gehen Wartezeiten für
Termine, um vorsprechen zu dürfen, von 12-18 Monaten voraus. Danach sind
die Ausländerbehörden am Zug – viele blockieren durch im Gesetz nicht
vorgesehene Prüfanforderungen. Beispielsweise wird in der Praxis oft der
Wohnraumnachweis oder die Lebensunterhaltssicherung gefordert, welche
ausdrücklich keine Voraussetzung sein sollen. Das Verfahren ist vom
Auswärtigen Amt so organisiert, dass weder bei den Botschaften, noch bei
den Ausländerbehörden noch beim Bundesverwaltungsamt eine Priorisierung
von besonderer Härte stattfindet.
Das Rechtsgutachten zeigt die Verstöße gegen Grund- und Menschenrechte auf:
* Das Kontingent sowie die in der Praxis auftretenden erheblichen
Wartezeiten und das nicht ausgeschöpfte Kontingent verstoßen gegen
das Recht auf Familienleben in Art. 6 GG und in Art. 8 EMRK.
* Das Kindeswohl gem. Art 3 UN-Kinderrechtskonvention wird mangels
fehlender Priorisierung nicht berücksichtigt.
* Die unterschiedlichen Regelungen für Menschen mit Anerkennung nach
der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK-Flüchtlinge) und subsidiär
Schutzberechtigte verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot des
Grundgesetzes und der EU-Grundrechte-Charta. Es gibt keinen Grund,
politisch Verfolgte aus Syrien anders zu behandeln, als vor Folter,
Todesstrafe oder unmenschlicher Behandlung durch das Asad-Regime
Geflohene. Beide Gruppen können auf unbestimmte Dauer nicht in das
Herkunftsland zurück.
*PRO ASYL und JUMEN erheben zudem den Vorwurf, dass mit dem Argument
maßlos überhöhter Zuzugsprognosen 2018 das Grundrecht auf Familie für
subsidiär Geschützte beseitigt wurde. *
Seit August 2018 wurden insgesamt nur 19.056 Familiennachzugsvisa
erteilt, aktuell liegen noch für 11.400 Personen entsprechende
Terminanfragen vor. Rechnet man dies zusammen beträgt die aktuelle Zahl
nur ein Zehntel der damaligen Prognose. Der heutige Bundesinnenminister
Horst Seehofer hatte in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD Anfang
2018
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bis zu 300.000 Angehörige würden nach Deutschland kommen wollen, wenn
der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wieder ermöglicht würde.
Im gesamten Jahr 2020 wurden nur 5311 Visa weltweit an Angehörige von
subsidiär Geschützten durch die deutschen Botschaften erteilt, also 44,2
% des festgelegten 1000er Kontingents. In den 29 Monaten seit Beginn der
Neuregelung wurden statt der zugesagten 29.000 Visa nur 19.056 Visa
erteilt, das entspricht 65,7% der versprochenen Zusage.
Ursprünglich war 2016 bei der Aussetzung des Familiennachzugs von der
Politik eigentlich versprochen worden, dass die alte Rechtslage nach
zwei Jahren automatisch wieder in Kraft treten und das Recht auf
Familiennachzug dann wieder möglich sein soll.
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[1] <#_ftnref1> Das Verwaltungsgericht Berlin ist zuständig, da sich die
Klage gegen das Auswärtige Amt richtet. Derzeit sind laut telefonischer
Auskunft ca. 170 Klagen gegen Entscheidungen im Familiennachzug anhängig
(Stand 26.02.21).
PRO ASYL steht Ihnen für Rückfragen und weitere Informationen gern zur
Verfügung:
069 / 24 23 14 30 I presse at proasyl.de <mailto:presse at proasyl.de>I
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