[juF-nds] EuGH-Urteil: Hoffnung für syrische Kriegsdienstverweigerer
Dörthe Hinz - Flüchtlingsrat Nds.
dh at nds-fluerat.org
Do Nov 19 15:05:32 CET 2020
-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Die nachfolgende, von RAin Susanne Schröder aus Hannover herbeigeführte
Entscheidung des EuGH in einem Vorlageverfahren des VG Hannover zu
Fragen der Kriegsdienstverweigerung von Syrern wird in der nachfolgenden
Presseerklärung von PRO ASYL treffend kommentiert. Die jahrelange
Verweigerung eines Familiennachzugs für die betroffenen syrischen
Geflüchteten, denen statt eines Flüchtlingsschutzes nur subsidiärer
Schutz zugebilligt wurde, erscheint angesichts der vom EUGH
vorgenommenen Neubewertung besonders zynisch. Wer als
Kriegsdienstverweigerer noch im Asylverfahren ist, kann nun ggfs. auf
eine Flüchtlingsanerkennung hoffen. Leider ergibt sich aus der
Entscheidung des EUGH nicht die Konsequenz, dass bereits abgeschlossene
Verfahren erneut aufgerollt und den Betroffenen nachträglich ein
Flüchtlingsschutz zuerkannt wird.
Presseerklärung
19. November 2020
*Hoffnung für syrische Kriegsdienstverweigerer *
*EuGH-Entscheidung bestätigt die PRO ASYL-Position: BAMF hat zu Unrecht
den Flüchtlingsstatus verweigert
*
Der EuGH hat am 19. November in einem Verfahren gegen Deutschland über
Fragen zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für syrische
Kriegsdienstverweigerer entschieden
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1780>.
Die Entscheidung macht deutlich: Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge hat in den letzten Jahren zahlreichen
Kriegsdienstverweigerern aus Syrien den ihnen zustehenden
Flüchtlingsstatus zu Unrecht verweigert. PRO ASYL hat das Verfahren aus
dem PRO ASYL-Rechtshilfefonds unterstützt.
Geschäftsführer Günter Burkhardt begrüßte das Urteil als Meilenstein.
„Die rechtswidrige Praktik des BAMF syrischen Kriegsdienstverweigerern
den vollen Flüchtlingsstatus zu verweigern, muss nun aufhören. Wer vor
dem Terrorregime Assads flieht und sich dem Wehrdienst entzieht, hat ein
Recht auf Asyl.“ PRO ASYL fordert den Bundestag und die Bundesregierung
auf, politische Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen und den zu Unrecht
als GFK-Flüchtlingen Abgelehnten den Familiennachzug zu ermöglichen. Der
wichtigste Unterschied zwischen dem vollen Flüchtlingsschutz nach der
GFK und dem sogenannten subsidiären Schutz ist nämlich das Recht auf
Familiennachzug, der in Deutschland seit März 2016 ausgesetzt wurde und
zum 1.8.2018 durch ein Gnadenrecht für 1.000 Fälle pro Monat ersetzt wurde.
*Der EUGH hatte nun klar festgestellt:*
*/„In vielen Fällen ist die Verweigerung des Militärdienstes allerdings
Ausdruck politischer Überzeugungen – sei es, dass sie in der Ablehnung
jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur
Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen –,
religiöser Überzeugungen oder hat ihren Grund in der Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe. Somit spricht eine starke Vermutung
dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den Bedingungen
der dem Gerichtshof vorgelegten Rechtssache mit einem der fünf Gründe in
Zusammenhang steht, die einen Anspruch auf die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft begründen. Nicht der Betroffene muss diese
Verknüpfung beweisen, sondern es ist Sache der zuständigen nationalen
Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die
Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen.“
/*
Wurden bis Ende 2015 Geflüchtete aus Syrien im Rahmen eines
schriftlichen Verfahrens noch in 99,7% der Fälle als Flüchtlinge im
Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bzw. als Asylberechtigte
nach dem Grundgesetz anerkannt, änderte sich die Anerkennungspraxis
danach massiv. Im Jahr 2016 bekamen nur noch 58% der syrischen
Antragsteller*innen Schutz nach der GFK bzw. dem Grundgesetz, 42%
erhielten subsidiären Schutz. Im Jahr 2017 wurden 38% der syrischen
Antragsteller*innen nach der GFK bzw. dem Grundgesetz anerkannt, dagegen
erhielt mit 61% die Mehrheit den subsidiären Schutz.
Damit der Verweigerung des Flüchtlingsschutzes nun auch die Verweigerung
bzw. Erschwerung des Familiennachzugs
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1781>
einherging, klagten viele syrische Geflüchtete (sogenannte
Aufstockungsklagen). Auch der Flüchtling EZ klagte – und zog mit
Unterstützung durch den PRO ASYL Rechtshilfefonds, vor den Gerichtshof
der Europäischen Union (EuGH).
**
*Was bedeutet das Urteil für syrische Flüchtlinge in Deutschland?
*
EZ kann nun hoffen, dass das VG Hannover ihm die Flüchtlingseigenschaft
zuerkennt und dies auch, wenn das BAMF in Berufung gehen sollte, Bestand
haben wird. Auch für andere noch bei Gerichten oder beim BAMF anhängigen
Verfahren kann und sollte sich diese Entscheidung positiv auswirken.
–Für Kriegsdienstverweigerer, die mit der vom EuGH nun abgelehnten
Begründung abgelehnt wurden und deren Verfahren schon rechtskräftig
abgeschlossen ist, macht das Urteil leider keinen Unterschied mehr. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bewirkt selbst
eine Entscheidung des EuGHs keine Änderung der Rechtslage, die als
Anlass für einen Folgeantrag
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1782>
gilt.
Dies entbehrt auch angesichts der hunderttausenden Widerrufsverfahren,
die vom BAMF aktuell durchgeführt werden, nicht eines gewissen Zynismus:
Obwohl sich in den Hauptherkunftsländern die Lage nicht geändert hat,
werden für die Widerrufs- und Rücknahmeverfahren die Akten auf
Wiedervorlage genommen – bei möglichen Verbesserungen aber nicht.
Letztlich zeigt die Entscheidung einmal mehr, dass die Aussetzung des
Familiennachzugs von 2016 bis 2018 und die seit 2018 bestehende
Kontingentlösung für den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte
das primäre Problem ist, da sie eine ungerechtfertigte Unterscheidung
zwischen Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten vornimmt. Die
Rechte von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten müssen endlich
wieder angeglichen werden.
Mit seiner Entscheidung im Fall EZ gegen Deutschland hat der Gerichtshof
der Europäischen Union (EuGH) Fragen des Verwaltungsgerichts Hannovers
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1783>
beantwortet, die die deutsche Rechtsprechung schon länger entzweit haben
(für eine Übersicht der Rechtsprechung siehe Infoverbund vom 16.04.2020
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1784>).
Dabei geht es um die essentielle Frage, wann bei syrischen
Kriegsdienstverweigerern von einer Flüchtlingseigenschaft ausgegangen
werden kann. In Deutschland bekommen Syrer*innen mittlerweile
mehrheitlich den subsidiären Schutz und nicht die Flüchtlingseigenschaft.
In Syrien sind Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren wehrpflichtig, doch
es kommt auch zum Einzug von jüngeren oder älteren Männern. Die
Wehrdienstentziehung ist eine Straftat und wird laut UNHCR von der
Regierung »wahrscheinlich als politische, regierungsfeindliche Handlung
angesehen« was zu schärferen Strafen als den regulär vorgesehenen
Sanktionen führen kann. Dies kann Haft sein, in der Folter und andere
Misshandlung droht, oder der Einsatz an vorderster Front ohne
ausreichende militärische Ausbildung. Mit Beginn des Bürgerkriegs kam es
zu massenhafter Zwangsrekrutierung. Deserteuren drohen lange Haftstrafen
oder sogar die Todesstrafe – in der Praxis kam es oft zu direkten
Erschießungen von gefassten Deserteuren (Quellen: UNHCR
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1785>,
Schweizerische Flüchtlingshilfe
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1786>,
adopt a revolution
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1787>).
Im syrischen Bürgerkrieg werden regelmäßig Kriegsverbrechen begangen,
auch gegen Zivilist*innen (Quellen: Amnesty International
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1788>,
Human Rights Watch
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1789>).
Auch dieses Jahr kommt es weiterhin zu Kampfhandlungen
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1790>.
PRO ASYL steht Ihnen für Rückfragen und weitere Informationen gern zur
Verfügung:
069 / 24 23 14 30 I presse at proasyl.de <mailto:presse at proasyl.de>I
www.proasyl.de
<https://proasylde.acemlnb.com/lt.php?notrack=1&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&i=143A271A8A1791>
Sent to: fw at proasyl.de
Unsubscribe
<https://proasylde.acemlnb.com/proc.php?nl=8&c=143&m=271&s=8b9b73e1fff9a373a1bcc22876b5bda0&act=unsub>
Förderverein PRO ASYL e.V., Postfach 16 06 24, 60069 Frankfurt am Main,
Germany
Mehr Informationen über die Mailingliste juf-nds